Patrick Breitenbach Weblog

Das Dilemma im Fall des Herrn E.

Mein Kommentar zum Fall des Herrn E. und die nun entstehende Empörung und Gegenempörung zum Thema Rechtsstaat:

Hier kommen zwei Seiten ins “Gespräch”, die unterschiedlicher nicht sein können. Das Recht argumentiert rational, kühl, abstrakt. Das ist gut so, denn es schützt möglichst viele Bürger vor emotionaler Willkür und sorgt auch so letztlich für eine Art Meta-Gerechtigkeit. Auf der anderen Seite haben wir die pure Emotion am walten: Besorgnis, Angst und Wut, gehört natürlich zum Wesenskern der Menschen (auch zum Glück, denn auch Empathie befördert Zivilisierung). Allerdings kann auch Emotion in solch gefährliche Massen-Phänomene wie Lynchjustiz etc. münden. Daher war und ist die Rechtsprechung ein wichtiger Baustein der Zivilisation, sie steht der überbordenden Emotion mit voller Absicht im Weg.

Auf der anderen Seite gilt das Recht natürlich nicht um des Rechts willen. Es sollte zwar möglichst in Stein gemeißelt sein, aber nicht auf Dauer. Auch Recht kann, darf und soll stetig hinterfragt und neu ausgehandelt werden – vor allem vor dem Hintergrund universaler Menschenrechte. Ein Diskussionspunkt ist da immer die Würde des Menschen und die Frage wem in Zukunft mehr Würde zugesprochen werden soll – die Unschuldsvermutung des Verdächtigen oder den Opfern und potentiellen Opfern. So etwas sollte aber möglichst vernünftig diskutiert werden und erst dann, wenn die ersten heftigen Emotionen gewichen sind.

Nun steckt das Leben ja voller Dilemmata. Es gilt jeweils in einer Zwickmühle abzuwägen, auszuhandeln und dann ein Ergebnis in eine Rechtsform zu gießen, so dass sie dann als möglichst stabiler Eckpfeiler der Gerechtigkeit fungieren kann. Im Sinne von möglichst vielen Perspektiven.

In diesem Fall überstrahlt allerdings das emotionale Reiz-Thema “Pädophilie” die gesamte Debatte. Es wird nun nicht mehr differenziert ob die betreffende Person überhaupt eine bestimmte Neigung hatte, welche Art von Bildern er tatsächlich angesehen oder erworben hat, zu welchem Zweck und ob er jemals auch nur ansatzweise “tätlich” wurde oder werden wollte.

Ich glaube gerade diese Ungewissheit beflügelt nun die Fantasie der Menschen und Herr E. hat sich und der Gesellschaft auch keinen Gefallen getan in dem er sich nicht klar und deutlich dazu äußert. Und auch er ist ein Mensch. Er wird Angst haben. Er sieht sich in die Ecke gedrängt. Auch hier setzt die Vernunft aus.

Aber man sieht sehr deutlich, seine Art zu kommunizieren, aber auch die kühle, abstrakte Art der Juristen, heizt einfach nur zusätzliche Spekulationen an und macht damit eine vernünftige Diskussion schier unmöglich, dann natürlich wirkt der Ausgang des Verfahrens auf besorgte Bürger aus dieser Perspektive der Unwissenheit und Spekulation extrem bizarr. Daher werden nun auch bizarre Vergleiche aus der Schublade gezogen (Marco Reus seine Führerscheingeschichte etc.) die mit dem abstrakten Recht so gar nichts mehr zu tun haben und alle professionellen Juristen springen da zu Recht im Achteck. Nicht weil sie Herrn E. verteidigen, sondern das Rechtsprinzip.

Es wird nun auch gar nicht mehr darüber diskutiert, ob Menschen wie Herr E. unter Umständen vielleicht auch eher psychologische Hilfe benötigen als drakonische Strafen (was wäre denn eigentlich in diesem Fall, also allein nur bei der Betrachtung von Nacktbildern von Jugendlichen eine “gerechte” Strafe?). “Das Urteil” ist jetzt sehr schnell und früh gefallen, nämlich vom “Volksgericht”. Der Delinquent ist ab sofort ein Schwein, kein Mensch und er ist nicht nur glimpflich davon gekommen, gleich hat das gesamte Rechtssystem versagt. Nun greift die mediale Selbstjustiz. Herr E. er hat doch längst sein maximales Strafmaß erhalten: Verbannung aus der Gesellschaft.

Dieses Thema kann man unter diesen Umständen einfach nicht vernünftig nicht debattieren.

Meine größte Befürchtung ist nun, dass vor allem diejenigen, die völlig unabhängig von der Thematik, für die Vernunft des Rechtssystem argumentieren, nun von der emotional aufgeheizten Atmosphäre fast schon gleichgesetzt werden mit einer Straftat selbst. Es werden im ersten Schritt die Richter und Staatsanwälte des konkreten Falls beschimpft, dann das deutsche Rechtssystem im Gesamten und im nächsten Schritt vermutlich all diejenigen, die dieses Rechtssystem im Gesamten schützen wollen. Darin sehe ich die eigentliche Gefahr. Ein möglicher Indikator der Entzivilisierung einer entwickelten Gesellschaft.

Den blinden Hass auf “das Urteil” (defakto wurde das Verfahren eingestellt) kann ich persönlich zu 100% nachvollziehen. Angst macht mir aber schon die daraus entstehende Dynamik und der ausbleibende vernünftige, differenzierte Diskurs über ein Umgang mit dem eigentlichen Problem und der Frage wie wir es lösen.

Der Ausgang dieses Falls war also nicht auf juristischer Ebene eine Katastrophe, sondern auf kommunikativer Ebene. Auf allen Seiten. Angefangen bei der Schwammigkeit des Herrn E. bis hin zu den Stimmen die das Rechtssystem in Frage stellen und am liebsten solche “Unmenschen” und “Monster” öffentlich auspeitschen würden.

Die wütende und empörende Emotion kann ich als Vater von zwei Kindern sehr gut nachvollziehen. Auch ich habe natürlich – wie vermutlich so viele Menschen – das Bild eines sabbernden widerlichen Kinderschänders im Kopf. Klassisches Klischee. Auf der anderen Seite bin ich aber ein großer Fan der Zivilisation. Ich schätze unseren Rechtsstaat, die Verflüssigung von Macht und die Eindämmung von willkürlicher Gewalt. Ich finde es aber zugleich wichtig, diese Gesetze in einem herrschaftsfreien, gewaltarmen Diskurs kritisch zu hinterfragen und stets neu auszuhandeln, stets im Sinne der Menschenrechte und des kategorischen Imperativs. Aber es ist und bleibt ein gesellschaftliches Dilemma. Und allein dies zu erkennen, wäre ein erster wichtiger Schritt nach vorne.

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