Patrick Breitenbach Weblog

Verbannung und Hyperzivilisierung im Netz

Gestern ist es mal wieder passiert. Eine junge Dame twittert einen Scherz (jedenfalls dachte sie es sei lustig) und es folgte eine immense Empörungswoge des Rassismus-Vorwurfes. Die Konsequenz daraus: Die junge Dame in der PR-Branche wurde gefeuert. Die Kündigung des Jobs dürfte ungefähr die gleichen emotionalen Auswirkungen gehabt haben, die wir Menschen bereits im Mittelalter als einer der schlimmsten Bestrafungen (neben den körperlichen Martern) empfunden haben: Die Verbannung aus dem Stamm, dem Dorf, der Stadt und dem gesamten sozialen Gefüge.

Das Internet und seine Transparenz ist für mich deshalb so spannend, weil es die Wirklichkeitsblasen von ganz vielen Menschen heftig und schnell einander dotzen lässt. So heftig und schnell, dass sie manchmal sogar platzen.

Wir befinden uns gerade in einer Phase der Hyperzivilisierung durch maximale “Soziale Kontrolle”, wie ich bereits vor einiger Zeit hier beschrieben habe. Die Überwachung durch Staaten oder Machteliten ist dabei nur ein ganz kleiner Teil der sozialen Kontrolle. Der größte Druck geht von der Masse der Nutzer selbst aus. Da braucht es keine Behörden oder Geheimdienstapparate. Wir machen uns freiwillig transparent und werden von “der Crowd” überprüft und mitunter bestraft, nicht zu allererst von irgendwelchen Behörden.

Das erklärt vielleicht auch, warum der derzeitige Diskurs über Blackfacing, N-Wörter und sonstigem so deftig polarisierend geführt wird. Auf der einen Seite will man alles richtig machen, sich für die Opfer des Rassismus einsetzen, auf der anderen Seite fürchtet man aus Unwissenheit und Scherzhaftigkeit etwas zu sagen, was andere als Rassismus bezeichnen können. Sehr schnell wird die sich rassistisch anfühlende Aussage direkt auf den Sender selbst abgeleitet. Derjenige der sowas sagt ist automatisch ein Rassist und damit gleichbedeutend zur Verbannung freigegeben. Und natürlich heißt das nicht automatisch, dass wir alle rassistisch klingenden Aussagen lieber ignorieren. Nur ist eben die Art und Weise wie wir das diskutieren von großer Bedeutung.

Ich möchte mich an der Stelle nicht für eine Seite entscheiden, ich möchte lediglich die gesamte, schwierig-verzwickte Situation ein wenig von oben beschreiben und warum es hier kein einfaches “richtig” und “falsch” gibt. Warum gut gemeint nicht gut gemacht ist und warum Scherze nicht immer als lustig empfunden werden, sondern als sehr verletzend und warum es Menschen gibt, die so lange mit der Moralkeule in die Ecke geprügelt werden, bis sie beißen. Menschen wehren sich nicht weil sie Rassisten sind, Menschen wehren sich weil sie sich zu Unrecht als Rassisten stilisiert fühlen. Es fehlt m. E. beiden extremen Polen ein empathisches Gespür für Balance und gegenseitigem Verständnis. 

Vor einigen Jahren habe ich bezüglich der Debatte ob das Internet vergessen soll mal folgendes gesagt: “Das Internet muss nicht lernen zu vergessen, wir sollten lieber lernen zu verzeihen.” Das gilt denke ich für alle Seiten.

UPDATE: Aufgrund der Resonanz dieses dahingeschluderten Blogeintrages, hier noch mal ein ausführlicherer Gedankengang dazu.

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