Vor einigen Tagen wurde die Lobby-Liste (Liste der Hausausweise zum deutschen Bundestag) veröffentlicht. Ein löblicher Schritt zu mehr demokratischer Transparenz. Wer sich die Liste wirklich einmal angesehen hat, der wird nicht umhin kommen festzustellen, dass da Unmengen an Interessenvertreter aller Couleur und Größen ein- und ausgehen. Und eben nicht nur die Wirtschaft. Eigentlich – so meine erste Reaktion, ist das ja ganz gut, dass so viele verschiedene Interessenvertreter Zugang zur Macht haben. Wenn man also ein System des Lobbyismus gut heißt, dann sollte man aber eben dafür sorgen, dass dieser Zugang permanent transparent ist und dass einigermaßen gleiches Recht für alle besteht. Gleiche Redezeit etc.
Das Problem ist ja wie so oft der Wettbewerb und die resultierende Akkumulation von sozialem Kapital (also die berühmten „Vitamin B“, die Beziehungen und Seilschaften). In diesem Fall dreht sich alles rund um die Frage: Wer von diesen Lobbyisten hat die engsten, tiefsten und intensivsten Beziehungen zur Macht? Der „Verein Kinderfreundliche Kommunen e.V.“ wird vermutlich nicht so intensive und erfolgreiche Gespräche mit Politikern führen wie „Vattenfall“ oder „Volkswagen“. Soweit zum Prinzip des Lobbyismus und seinen massiven Herausforderungen im Angesicht einer Demokratie.
Doch was ich gestern über Argentinien gelesen habe ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen (Danke an borgdrone für den Tipp). Argentiniens Regierung besteht jetzt nahezu nur noch aus Topmanagern zum Teil von international agierenden Wirtschaftskonzernen:
Demnach soll der frühere Zentralbankpräsident und einstige Manager der US-Bank JPMorgan, Alfonso Prat-Gay, das Haushaltsministerium führen,
während der frühere Chef von Shell Argentinien, Juan José Araguren, Energieminister werden soll.
Der einstige Deutsche-Bank-Manager Nicolas Caputo , ein Jugendfreund des Präsidenten, wurde für das Finanzministerium ausgewählt.
Der ehemalige Präsident der Banco Ciudad, Federico Sturzenegger, soll den Vorsitz der Zentralbank übernehmen – allerdings muss seine Ernennung noch vom Senat bestätigt werden, der von der Opposition beherrscht ist.
Statt eines Wirtschaftsministers soll es einen Koordinator der Wirtschaftsressorts geben. Dieser Posten soll an Gustavo Lopetegui gehen, einen früheren Vorsitzenden der chilenischen Fluglinie LAN in Argentinien.
Die künftige Außenministerin Susana Malcorra hat ihrerseits 25 Jahre bei IBM und Telecom Argentina gearbeitet, während das Innenministerium an den Ökonomen Rogelio Frigerio gehen soll.
Was hier vollzogen wurde ist im Grunde genommen ein komplettes Überspringen des Lobbyprinzips. Wirtschaft muss nun nicht mehr mühselig Lobbyisten zu Politikern schicken, sie nehmen das direkt mal selbst in die Hand.
Ich empfinde das als etwas schockierendes, weil ich als Demokrat die Ansicht von Jürgen Habermas teile, der mal sagte:
Zwischen Kapitalismus und Demokratie besteht ein unauflösliches Spannungsverhältnis; mit beiden konkurrieren nämlich zwei entgegengesetzte Prinzipien der gesellschaftlichen Integration um den Vorrang.
Ich bin kein rigoroser Gegner des Kapitalismus. Ich bin ein Kritiker und ein Skeptiker. Ich bin aber vor allem der Auffassung, dass der Kapitalismus im Sinne des Gemeinwohls permanent gezähmt, gezügelt und transformiert werden muss. Schon aus seinem eigenen Interesse. Ich sehe den Kapitalismus als unmündiges Kind. Kapitalismus kann wie jedes kleines Kind nicht mit absoluter Freiheit umgehen, sondern benötigt glasklare Grenzen. Dazu hat bisher die Politik eine wichtige Rolle als Regulativ und zähmendes Element eingenommen. Was wir nun also in Argentinien erleben könnten, wäre eine völlige Entfesslung von Privatisierung und Aushöhlung jedweder Sozial- und Gemeinwohlprinzipien. Es gilt diese völlig neue Entwicklung in Richtung Post-Lobbyismus (im negativen Sinne) genau im Auge zu behalten.
Das Thema „Macht-Elite Hacking“ scheint damit auch wieder ein Tick relevanter zu werden.
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