Vorsicht! Ein Teil dieses Beitrages könnte Sie verunsichern.
Prolog und Herleitung
In den späten 60er Jahren des letzten Jahrhunderts prägte der Philosoph Gustav Bergmann den Begriff der “Sprachlichen Wende” (”Linguistic Turn”) und gab den avantgardistischen Denkern rund um das Thema Sprache und deren Auswirkungen auf Denken und Handeln endlich einen Begriff, mit dem man arbeiten konnte und der außerdem dazu in der Lage war bisher zementierte Paradigmen in der Wissenschaft ins Wanken zu bringen.
Einer dieser großen Vordenker, der sich auf das Thema “Sprache” fokussiert hatte war ein komischer Kautz namens Ludwig Wittgenstein. Wittgenstein, der stark vom mathematischen Denken geprägt war, brach mit seiner Art zu Denken die elementaren philosophischen Fragen nach Sinn und Bedeutung des Lebens bis zu ihrer absoluten Abstraktion herunter (Er stand auf Mathematik und Logik). Vereinfacht formuliert könnte seine Kernerkenntnis lauten: Menschen versuchen Wirklichkeit nicht nur verzweifelt mit Sprache zu beschreiben, sondern zugleich vermitteln sie anderen Menschen, zu denen sie in Beziehung stehen, ihre wahrgenommene Wirklichkeit durch Sprache. Beides gelingt ihnen nicht wirklich oder nur äußerst begrenzt und extrem fehleranfällig.
Praktizierte Sprache ist also keine präzise, universelle, naturwissenschaftliche Einheit – so wie die Mathematik – sondern eher wie ein zufälliges Rätsel, das es immer zu knacken (dekodieren) gilt, um überhaupt annähernd zu erfahren, was Realität eigentlich in Wirklichkeit sein könnte. Und selbst wenn man sie universell knacken könnte, so könnte man am Ende nicht wieder aussprechen und anderen mitteilen (codieren) was jetzt “wirklich” ist. Oder wie Wittgenstein selbst am Ende seines Werkes dem Tractatus logico-philosophicus bemerkt: “Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen".
Wittgenstein wollte uns damit zeigen, dass wir die Wirklichkeit gar nicht exakt in Sprache beschreiben können, bzw. sobald ich eine andere Sprache spreche, habe ich es automatisch mit einer anderen Wirklichkeit zu tun. Zugleich sind wir Menschen aber stets darum bemüht genau das tun zu wollen. Wir wollen die wirkliche WIrklichkeit erkennen, verstehen und anderen mitteilen. Nur ist uns dabei selten bewusst, dass es weder die wirkliche Wirklichkeit, noch die exakte Sprache gibt um diesen Wunsch erfolgreich zu erfüllen. Wittgenstein dazu: “Die Grenzen der Sprache sind die Grenzen unserer Welt” (und damit unserer Wirklichkeit).
Kontrolle von Sprache und Wirklichkeit
Hinzu kommt dann natürlich auch die starke Instrumentalisierung von Sprache für eine sprachliche Manipulation. Vielen von uns kennen zum Beispiel sogenanntes “Neusprech”, also der Versuch negativ erscheinende Begriffe wie “Müllmann” in einen Euphemismus, also einem schöneren Begriff zu packen, der noch nicht von unserem bewertenden Denken vorbelastet ist. So wird aus dem “Müllmann” z.B. ein “Abfallentsorger”. Die Bildung von Euphemismen hat aber nicht nur die Absicht uns hinters Licht zu führen und zu manipulieren. Man tritt mit einer bewussteren Sprache eben auch einer drohenden Verrohung und damit einem psychischen Verletzungspotenzial durch Sprache entgehen. Ein klarer Prozess der Zivilisierung, bei dem man versucht den anderen nicht zu provozieren, ihn nicht zu verletzen, um Gewalt insgesamt und langfristig einzudämmen.
Sprache beschreibt die Welt in der wir leben. Über Sprache erfahren wir die Welt. Zugleich prägt Sprache unser Denken und Fühlen. Unser Denken und Fühlen wiederum prägt unser Handeln.
Sprache, Denken, Fühlen und Handeln und darüber wieder fühlen, denken sprechen und handeln steckt also in einer unendlichen sich gegenseitig beeinflussenden Feedbackschleife. Aus Worten wird Angst, ein Gefühl, aus Angst wird vielleicht Wut, aus Wut wird irgendwann ein gewalttätiges Handeln, das andere wiederum in diesen Kreislauf mit hineinzieht. Gewalt erzeugt immer mehr desselben.
Sprache etabliert und sprengt Machtbeziehungen
Kein Wunder also, dass Sprache gerade in Fragestellungen rund um Macht und Herrschaft ein ganz gewichtiges Element darstellt. Deshalb sind Massenmedien für Machtbeziehungen zu Massen so wichtig. Wenn niemand behaupten würde es gibt da einen König, einen Präsidenten oder eine sonstige Regierung, so gäbe es vermutlich auch keinen König, Präsidenten oder eine Regierung und niemand könnte über eine große Masse von Menschen herrschen. Nicht umsonst prangten sehr früh die Köpfe von Herrschern auf Münzen. Sie wollten damit ihre Macht im Alltag in Erinnerung rufen.
Mit dieser Erkenntnis wird Sprache eben auch zum Spielball der Macht und damit zu einem Instrument der Manipulation. So schreibt Wittgenstein beispielsweise dazu: “ Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.”
Durch die Elastizität der Sprache und ihrer Interpretation lässt sich die letzte Aussage Wittgensteins durchaus wie folgt deuten: Das kritische Hinterfragen des scheinbar Selbstverständlichen (Skepsis), nämlich in diesem Fall Sprache, schützt uns womöglich vor möglicher Manipulation unseres Denkens. Man kann das fast ein wenig mit der Frage vergleichen, ob man seine Kommunikation im Zeitalter der NSA-Skandale besser verschlüsseln sollte. Eine Verschlüsselung verhindert nicht per se eine Überwachung, aber es erschwert letzlich die gesamte Arbeit der Überwacher. Eine ähnliche Funktion könnte man der Skepsis zuschreiben. Sie verhindert keine Manipulation, sie macht es aber den Manipulierern wesentlich schwerer zu manipulieren.
Die sich ständig wiederholende Erzählung der Angst
Was geschieht aber ganz aktuell? Seit einer Woche ist ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt und zwar mit Hilfe von Taten, Worten und Bildern. Die Tat an sich ist minimal im Vergleich zu den schrecklichen Taten, die in aller Welt stattfinden. Der Aufwand der Tat war minimal und doch so gewählt, dass der Transport der Tat durch Sprache und Bilder eine maximale Dimension annehmen konnte. Nicht umsonst wählten die Mörder gut besuchte Kneipen und Konzerte, bei denen man sich sicher sein konnte, dass auch viele Menschen über Smartphones verfügen, die das Ganze auch filmen und teilen konnten. Die Wahl des Fuballländerspiels wurde natürlich auch deshalb bewusst ausgewählt, weil dieses Ereignis international übertragen wurde. Überall Kameras. Und allein das kleine TV-Schnipsel mit den hörbaren Explosionen reichte schon aus um uns allen ein sich ständig wiederholendes Programm der Angst zu bescheren, das in den Medien rauf und runter exerziert wird. Eine Art makabres Souvenir des Ereignisses, das nun prominent von allen Medienprofis und Ich-Medien immer wieder und wieder präsentiert wird und somit kann erst Terror und Angst minütlich in unsere Wohnzimmer, Büros und Köpfe kontinuierlich eindringen und dort seine Wirkung entfalten.
Was wäre eigentlich, wenn niemand über diese Taten sprechen würde? Wenn sie rein hypothetisch außerhalb der hochgetakteten, digitalisierten Informationsgesellschaft einfach nicht stattfinden würden?
Ich lasse Sie mal kurz mit dieser hypothetischen Frage alleine. Doch vorsicht, die Frage ist nicht dazu gedacht, sie rein moralisch zu beantworten. (”Wer würde denn dann an die Opfer denken?”)
Das Mantra “Wir dürfen keine Angst haben!”
Ein großes Credo, ja fast schon ein Mantra nach den Anschlägen von Paris (die zwischen den aktuellen Anschlägen von Beirut, Mali, Baghdad, Kabul und dem dauerhaften Krieg in Syrien liegt) in Europa lautet nun: “Wir dürfen jetzt keine Angst haben!”. Das ist interessant, denn Medien scheinen zwar auch dieses Mantra zu teilen, richten sich aber selbst dahingehend aus, alles dafür zu tun um sich gegen dieses Mantra zu stellen. Den Medien kann man an der Stelle auch keinen moralischen Vorwurf machen. Medien berichten, was zu berichten ist. Sie berichten was Menschen hören wollen. Sie berichten was Aufmerksamkeit und damit Erlöse erzielt. Sie berichten also einerseits über das Mantra der Beruhigung und zugleich über die Wirklichkeit des Terrors, der nun wie nach einem exakten Protokoll ablaufend Schritt für Schritt minitiös seine psychologische Wirkung in Form eines kollektiven Traumas entfaltet.
Es entstehen folgende kognitive Dissonanzen, Doppeldenk, Double-Bind oder paradoxe Widersprüche wie diese:
“Wir dürfen keine Angst haben!” – sehen aber schwer bewaffnete Polizisten mit voller Montur am Bahnhof patrouillieren
“Wir dürfen keine Angst haben!” – geraten in eine Massenpanik weil ein Mann sein Paket mit Kabeln im Zug hat liegenlassen und sehen überall nur noch Bomben und potenzielle Attentäter.
“Wir dürfen keine Angst haben!” – und unser Bundesinnenminister verschweigt uns die gesamte Bedrohungslage weil sie uns Angst machen könnte.
Das ist schlichtweg ein verrückter Zustand. Und so sollte man es auch benennen und sich da nichts vormachen. Wir haben Angst. Wir sind panisch, Wir werden auch paranoid. Alles andere zu behaupten wäre pure Verdrängung und damit eine verpasste Chance diese Ängste tatsächlich zu verabreiten und langfristig zu lösen.
Angst führt eine Gesellschaft zurück ins kindlich-mystische Denken
Kollektive Angst ist ein idealer Nährboden um sich der freien und offenen Gesellschaft zu entledigen. Verdrängte Angst ist eine Angst, die man nicht sieht, weil man sie nicht sehen will und dennoch in uns wirkt. Sie kann sich somit dauerhaft einnisten und ihrem Tagewerk nachgehen. Je diffuser die Angst, desto diffuser können Maßnahmen und Versprechungen sein, sich dieser Angst zu entledigen. Rechtspopulistische Parteien und Bewegungen versprechen einfache Lösungen. Sie instrumentalisieren unsere Angst.
Man schließt offene Grenzen und glaubt dadurch Terror auf immer und ewig zu verhindern. Oder man übt selbst Terror auf eine andere Bevölkerung aus, weil man überzeugt ist den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben. Machen wir uns bloß nichts vor: Bomben gegen den IS sind auch Bomben gegen Zivilisten. Nicht nur weil sie menschliche Schutzschilde verwenden, sondern eben auch weil diese Eingriffe nicht so klinisch präzise sind, wie man sie uns mit Sprache suggeriert. Man überwacht die gesamte Welt, weil man davon überzeugt ist dass man erst dann frei, friedlich und offen leben kann wenn wenige geheime Behörden alles über alle Menschen wissen. Man schließt Andersdenkende und Andersprechende und Andersaussehende rigoros aus, weil man glaubt man könnte sich dann vor Gewalt und Terror schützen. Man verfällt in einen kulturellen Rassismus, der die eigenen Werte und Glaubenssätze (die sich selbst einmal Teil einer menschenverachtenden Religionspraxis war) über die Werte anderer Kulturen und Religionen stellt, nur weil man der Ansicht ist, dass sich die “Anderen” sowieso niemals ändern könnten. Das ist mystisches Denken. Das hat mit den hochgelobten Werten der Vernunft leider rein gar nichts zu tun.
Das kritische Hinterfragen des scheinbar Selbstverständlichen
All diese Dinge werden nun sprachlich breit diskutiert. Zunächst fallen nur Worte, Ideen, Gedanken. Es werden Testballons gestartet und man schaut ganz genau hin wie die Öffentlichkeit reagiert. Bodentruppen in Syrien waren vor zwei Jahren, als der Krieg bereits heftig tobte, undenkbar. Im Klima des Terrors sehen wir dazu fast keine Alternative mehr. Daher sind Worte immer sehr wirkmächtig, weil sie sofern sie permanent medial breit wiederholt werden Stück für Stück in unser Fühlen, Denken und Handeln einsickern und damit eine neue Wirklichkeit entstehen lassen. In diesem Fall die Wirklichkeit eines neuen Weltkrieges oder dem Zerfall der europäischen Union oder gar die Gründung der vereinigten Staaten von Europa. Wichtig ist nämlich auch, was wir alle aus diesen Worten am Ende machen.
Die Mechanik der Worte können wir natürlich nicht aufhalten. Sie bildet eine feste Struktur in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. Aber das Wissen um diese Struktur verpflichtet uns sie jederzeit kritisch, sachlich und nüchtern zu hinterfragen und sie nicht aus einer Angst heraus blind zu befolgen oder in einen kindlich-mystischen Geisteszustand zu verfallen, bei der scheinbar einfache Lösungen unmittelbar zum absoluten Seelenheil und zur schnellen Bedürfnisbefriedigung nach Sicherheit führen.
Daher bitte ich darum: Bleibt wachsam. Nicht nur gegenüber Terror, sondern vor allem gegenüber aktionistischen, emotional geleiteten Maßnahmen, die langfristig unsere Werte, die der Terror definitiv zerstören will, nämlich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, unterwandern und abschaffen wird.
Passend dazu: Soziopod #041: Menschenrechte gegen den Terror
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